Samstag, 20. November – Premierentag
Ich gehe noch schnell zur Bank, um die „Kinder“ nach der Aufführung zu einer kleinen Premierenfeier einladen zu können. Da man in Südafrika nur das Geld für einen Tag mit sich herumtragen soll, gehe ich fast jeden Tag zum Geldautomaten, doch heute habe ich Schwierigkeiten, meinen PIN einzugeben – 47... oder doch 74... Schließlich gelingt es mir doch noch, dem Automaten Geld zu entlocken. Noch schnell am Guesthouse vorbei, um Requisiten zu holen! – Ich stehe hilflos vor meinem Schrank, räume meine wenigen Habseligkeiten von links nach rechts. Was wollte ich noch? – Auf dem Weg zur Boiketlong-Hall erste Orientierungslosigkeit ... Dann in der Halle die Frage: Warum stehen die Bäume auf der Bühne? Die Schauspieler fragen mich, wo der Schlafsack zu Beginn des Stückes liegen soll. – Was für ein Schlafsack denke ich?... Skye wird nachdenklich – hier stimmt etwas nicht ...
Er fragt mich schließlich: Peter, what’s my name? – Mir ist klar, dass ich diesen jungen Mann kennen müsste ... Filmriss!
Skye’s Mutter hat ihren Sohn mit dem Wagen in die Townships gebracht und steht noch vor der Halle. Lucky und Mkhulu bringen mich zum Auto und schon sind wir auf der Autobahn nach Vereeniging: stationäre Aufnahme in eine Privatklinik - die Erinnerungen versinken im Nebel ...
…. Premiere ohne Regisseur! – Die Stimmung im Ensemble ist bedrückt – die Schauspieler beten für mich ...Mkhulu – unser Puck – appelliert an die Truppe, nun das Beste zu geben: für Peter!
Stimmübungen, Aufwärmtraining…und dann…Premiere! Während der Aufführung droht Betroffenheit erneut die Kids zu befallen. Ursula ermahnt sie, jetzt nur an die Aufführung zu denken und die Premiere gelingt erstaunlich gut.
Die Gebete der Truppe werden erhört – ich wache am Sonntag in der Klinik auf und habe nur einen Gedanken: so schnell wie möglich ins Etienne Rousseau Theatre nach Sasolburg! – Der Oberarzt entlässt mich zögernd, aber er weiß auch, dass ich nicht zu halten bin. Louise – Skye’s Mutter – holt mich mit ihrem Zweisitzer ab und wir fliegen über die Autobahn Richtung Sasolburg. Sie fährt mich jedoch nicht zum Theater, sondern zum Schwimmbad ...Der ANC hat das Theater für eine politische Aktion nun doch okkupiert!
Provokation, Boykott, Sabotage? – Stimmen aus dem Publikum: The politicians bulldoze art and culture!
Tony telefoniert, diskutiert – ich treffe im Schwimmbad ein und die „Kinder“ empfangen mich überschwänglich. Während Hans für die Truppe Pizza bestellt, denke ich über die Möglichkeiten einer Freilichtaufführung vor der Bibliothek nach. Ursula wartet vor dem Theater, wo ihr plötzlich der Bürgermeister von Sasolburg vorgestellt wird. Er war vor einigen Wochen mit einer Gruppe in Leverkusen – man kommt ins Gespräch – er verspricht, das Theater zu räumen. Während Zumas Gefolge sich gelassen durch das Foyer wälzt, baut die Truppe allegro molto das Bühnenbild auf, richtet die Technik ein und das Publikum wartet geduldig – nun schon über eine Stunde ...
Dann endlich: das Saallicht verlischt und die zweite Vorstellung – für mich die Premiere – geht über die Bühne. Die Schauspieler verspielen ihr Herzblut, die Tänzer geraten zu den Klängen der Trommeln in Ekstase – das Publikum dankt ihnen mit anhaltendem Applaus, besonders als Lucky den Schlussmonolog auf Deutsch wiederholt und die Teilnehmer des Theater-Workshops ihre Zertifikate auf offener Bühne entgegennehmen.
Jubel und Erleichterung im Ensemble – dann die bange Frage: Gibt es die versprochene Voezek-Party zu unserem Abschied?!? Die Ärzte-Drogen haben meinen Blutdruck in den Keller gefahren und die „Ubuntus“ reagieren mit Kopfschütteln, als ich alle ins Emmaus-Haus zum feucht-fröhlich-traurigen Abschiedsumtrunk einlade. Während die Premiere begossen wird und die Stimmung steigt, stehle ich mich aus den Townships und Tony bringt uns ins Guesthouse. Das Projekt ist beendet. Koffer packen – offene Rechnungen bezahlen. Die letzte Nacht in Südafrika.